Reisebericht
Lehrfahrt in den Westen Kanadas

Gruppenfoto Kanadareisende

Nach gut sieben Monaten Schulzeit startete der Jahrgang 2023/24 am 3. Mai 2024 mittags vom Flughafen München aus zur großen Lehrfahrt nach Kanada - ein Reisebericht.

Durch die Zeitverschiebung von neun Stunden (zurück) kamen wir um ca. 16 Uhr in Vancouver an. Am Ankunftstag bezogen wir nur noch das Hotel und ließen den langen Tag bei einem gemütlichen Abendessen ausklingen.

München – Vancouver

Den zweiten Tag verbrachten wir in der Stadt Vancouver. Morgens besuchte uns eine indigene Einwohnerin Kanadas im Hotel und erzählte, wie sie im Kindesalter in den 1960er-Jahren von ihren indigenen Eltern getrennt wurde, wie sie heute in Vancouver lebt und den Kontakt zu ihrem Stamm hält. Anschließend machten wir mit dem Bus eine Stadttour und besichtigten u.a. den über 400 ha großen Stanley Park, die Hängebrücke “Lions Gate Bridge“ als das Wahrzeichen der Stadt, die Innenstadt mit dem Stadtteil „Gastown“ und den Hafen, der an einem Ausläufer des Pazifiks liegt. Von dort aus konnten wir die zahlreichen Wasserflugzeuge beim Starten und Landen beobachten. Im Hafen liegt auch das „Vancouver Convention Centre“, das 2010 als Sendezentrum für die Olympischen Winterspiele und die Paralympics diente.

Victoria – Fähre – Farmbesuche – Chilliwack

Am dritten Tag machten wir uns morgens mit dem Bus und anschließend mit der Fähre auf zur Insel „Vancouver Island“, genauer gesagt nach Victoria, der Hauptstadt von British Columbia. Auf dem Weg von der Fähre nach Victoria besichtigten wir einen Hofladen, der von einem Landwirt geführt wird. Je nach Saison verkauft er bis zu 80% eigene Produkte, vor allem Gemüse.

Nach einer Übernachtung in Victoria und mit der Fähre zurück auf dem Festland fuhren wir ca. 100 km östlich in das landwirtschaftlich geprägte Gebiet Chilliwack. Dort besuchten wir zwei Milchviehbetriebe mit 1650 bzw. 1200 Milchkühen (Corner´s Pride Farms Ltd., Rosedale und Kloot Farms, Chilliwack). Ein Betrieb melkt mit 31 Lely-AMS, der andere mit einem GEA-Roboterkarussell. In Kanada kann nicht beliebig viel Milch produziert werden, sondern es gibt eine Quote, die nach Butterfett berechnet wird. Die Quote für eine Milchkuh kostet einmalig ca. 36.000$. Die Ställe sind typische Laufställe mit Liegeboxen. In den Liegeboxen wird jedoch Sand als Einstreu verwendet, der über die Gülle immer wieder recycelt wird. Die Gänge werden nicht abgeschoben, sondern 3 bis 4 mal am Tag mit Wasser geschwemmt, das ebenfalls immer wieder recycelt wird.

Weitere Zahlen der Betriebe: Erstkalbealter: 24 Monate, Milchleistung: 35 bzw. 42,5 Liter/Tag, Melkungen am AMS: 2,7 pro Tag, Zwischenkalbezeit: 390, Milchpreis: 0,67€/Liter, Trockenstehdauer:50-56 Tage. Drei Aspekte bezüglich der Produktionsvoraussetzungen überraschten uns am meisten: 1. Niederschlag pro Jahr: 1800 Liter, 2. Strompreis: ca. 8 Cent/kwh, 3. Güllelagune ohne Folie
Am Abend machten wir uns auf zum dritten Hotel nach Chilliwack.

Von Abbortsford über die Rocky Mountains nach Calgary

Am Dienstagmorgen flogen wir von Abbortsford über die Rocky Mountains nach Calgary. Von Calgary fuhren wir mit dem Bus nach Lethbridge. Dort starteten wir mit der Besichtigung einer Werkstatt des größten John Deere-Händlers Nordamerikas, der Firma Brandt. Anschließend fuhren wir zum Rodeo und sahen beim Wettbewerb „Calve roping“ (Kälberfangen mit dem Lasso) zu.
Ein weiterer Höhepunkt der Reise war der Besuch einer Farm der Hutterer. Diese Gemeinschaft wurde im 16. Jahrhundert von Jakob Hutterer in Tirol als „täuferische Bewegung“ gegründet und aufgrund ihrer damals radikalen Glaubensgrundsätze immer wieder verfolgt. Nachdem sie z.B. aus Ungarn, Russland, usw. immer wieder vertrieben wurden, siedelten sie sich ab 1874 in Nordamerika an. Dort leben die ca. 45.000 Anhänger bis heute in vielen Untergruppen, den Kolonien.
Wir hatten die Ehre eine solche Untergruppe mit 100 Bewohnern in Alberta zu besuchen, was nicht selbstverständlich ist, da sie normalerweise sehr zurückgezogen auf ihren Gebieten leben. Auf dem großen Areal der Kolonie angekommen, wurden wir jedoch so herzlich empfangen, wie auf keinem anderen Betrieb. Als erstes sahen wir bei den letzten Handgriffen der Geflügelschlachtung zu. Danach wurde uns fast jeder Winkel der Kolonie gezeigt. Der Legehennenstall mit Eiersortierung, die eigene Schule mit Turnhalle, die Feedlots (Rindermast im Außenbereich), der Milchviehstall mit 220 Kühen und GEA AMS, die Kirche, der Rohbau eines neuen Gebäudes für Kirche, Aufenthalts- und Speiseräume und der aktuelle Speisesaal, in dem wir zum Mittagessen eingeladen wurden.
Am meisten überrascht hat uns die Sprache der Hutterer. Sie sprechen zwar auch Englisch, aber die Hauptsprache in den Kolonien ist ein bayerisch-österreichisches Deutsch. Als wir begannen mit ihnen zu sprechen, waren sie sehr überrascht, dass wir sie verstanden haben. Ab diesem Zeitpunkt hatten wir das Gefühl, dass sie noch offener gegenüber uns waren, da wir sozusagen aus ihrer Heimat kommen. Nach dem Essen sangen wir gemeinsam einige deutsche Lieder aus ihrem Liederbuch, z.B. über ihre Heimat Tirol. Nach mehrmaliger Aufforderung ein Lied aus Bayern zu singen, gaben wir die Bayernhymne zum Besten. Wir erfuhren noch viele weitere interessante Details über das Leben in einer Hutterer-Kolonie, die hier nicht alle genannt werden können.

Calgary – Farmen – Lethbridge

Am Mittwoch, dem sechsten Tag der Reise, besichtigten wir die Firma Rocky Mountain Equipment, einen Case und New Holland-Händler, dessen Geschäftsführer uns anschließend mehrere Betriebe zeigte. Als erstes fuhren wir zum St. Mary dam, dem Damm, der den St. Mary River anstaut und das Wasser für die Bewässerung im südlichen Alberta liefert. Nach dem Mittagessen besuchten wir den Ackerbaubetrieb Nakamura Farms Ltd., der u.a. Kartoffeln anbaut.

Neben den kulturellen Aspekten, war auch die Landwirtschaft der Hutterer sehr interessant. Sie halten 10.000 Legehennen, 220 Milchkühe, 2500 Mastrinder. Der Milchviehstall wurde 2019 gebaut. Der Stall kostete 4 Mio $ und die zugehörige Quote 6 Mio $. Da der Milchviehstall sehr modern ist und viel Tierwohl bietet, überraschte uns der Legehennenstall mit drei Etagen und ohne Tageslicht umso mehr. Die Hutterer waren auch sehr interessiert an uns, was wir nach den Erzählungen des Reiseleiters nicht erwartet hatten. Deswegen dauerte der Besuch in der Kolonie über 3 Stunden und nach einem langen Abschied konnten wir uns erst gegen Abend auf den Weg ins Hotel machen.

Am Donnerstag startete unser Tag mit der Versteigerung von Schlachtvieh bei der Perlich Bros. Auktionshalle. An diesem Tag wurden 120 Tiere versteigert. Die Auktionen finden zweimal wöchentlich statt. Der Durchschnittspreis lag in den letzten Wochen bei 3,8€/kg (205$ für 1000 pounds). Der Betriebszweig Kartoffelanbau des zweiten Ackerbaubetriebes wurde uns von dem Niederländer Michiel Buijsse vorgestellt. Er hat 2019 mit dem Kanadier Bill Bezooyen den Betrieb „845 Spud Farms Ltd.“ gegründet, der beiden zu 50% gehört. Bezooyen besitzt eine Farm mit ca. 5000 acres (2000 ha), wovon aktuell jährlich wechselnde 400 ha von dem Niederländer Buijsse mit Kartoffeln bewirtschaftet werden. 845 Spud Farms pachtet die Fläche von Bezooyens Betrieb, besitzt die Maschinen für den Kartoffelanbau und das Lager, das auf dem Land von Bezooyen steht. Buijsses Frau macht die Buchführung und die drei Söhne von Bezooyen arbeiten bei 845 Spud Farms mit. Der Einstieg in den Kartoffelanbau wurde nur dadurch ermöglicht, dass die Pommesfabrik von McCain in Coaldale dringend nach neuen Kartoffelanbauern suchte und Buijsse eine neue Chance sein Wissen über den Kartoffelanbau umzusetzen.

Einige Zahlen zum Kartoffelanbau bei Spud Farms Ltd.:

Pacht für Kartoffelfeld: 1080 €/ha, Preis Kartoffeln: 28 €/dt, Anzahl Feldstücke: 46, Dauer Pflanzung: 20 Tage, Kosten Beregnungsrecht: 400 €/ha, Arbeitslohn Fremd-AK: 20 €/h, Größe Kartoffelroder: 16 Reihen, Zinsen Fremdkapital: 7%, Beregnung: 400 mm/Jahr, Niederschlag: 107 mm (2023)
Die Beteiligten sind aktuell zufrieden mit dem Erfolg des Betriebes. Laut Angaben von Buijsse heißt es aber jedes Jahr wieder „All in“. Das bedeutet, dass der Gewinn eines Jahres im nächsten sofort wieder investiert wird. Auch zum Ackerbaubetrieb ohne Kartoffeln hat uns Buijsse noch einiges erzählt. Das größte Problem beim Ackerbau in Alberta ist die Winderosion. Neben der geringen Austrocknung des Bodens wird v.a. auch wegen dem Bodenabtrag durch Wind die Direktsaat praktiziert. Der Weizen wird zum Beispiel direkt in die Rapsstoppeln gesät. Nur der Rapssamen ist genverändert, alle anderen Fruchtarten nicht. Mit dem Flugzeug werden Fungizide und Insektizide ausgebracht, keine Herbizide.

Zum Schluss des Besuches besichtigten wir noch den Maschinenpark des Betriebes, bevor wir uns zum nächsten Hof nach Okotoks aufmachten. Die „Bar None Ranches“ sind vor allem bekannt für ihren großen Pferdestall. Sie haben Platz für 140 Pferde, was hauptsächlich Renn- und Zuchtpferde sind. Ein Einstellplatz kostet pro Monat 270€. Neben dem Ackerbau und der Heuwerbung halten sie zusätzlich noch 40.000 Fische in Aquakultur. Die Fische der Art Barramundi wachsen mit Pelletfutter 11 Monate lang auf ein Gewicht von ca. 3 kg an. Nach der Verabschiedung von den Betriebsleitern fuhren wir mit dem Bus Richtung Rocky Mountains nach Canmore, wo wir als Nächstes übernachteten.

Banff-Nationalpark

Am Freitag, dem vorletzten Tag, besuchten wir einige Seen und die Stadt Banff mitten im Banff-Nationalpark. Nachdem wir den Samstag noch bis 12 Uhr in Calgary verbrachten, flogen wir um 15 Uhr Richtung Amsterdam bzw. München zurück.
Insgesamt war es eine sehr interessante Reise. Uns wurde auf den vielen verschiedenen Betrieben bewusst, wie unterschiedlich die Produktionsvoraussetzungen bezüglich Niederschlag, Umweltauflagen, Tierschutzvorgaben usw. weltweit sind. Neben der Landwirtschaft hat uns vor allem auch die Weite des Landes und die offene Art der Kanadier beeindruckt.